Der Anläufer und andere Erben Kakakaniens
Wiener Kunsthefte 2/2005
Hunger
Hunger. Stufe für Stufe schob sie sich die Treppe hinauf. Pizza Funghi Salami, Sternchen "Salami" gleich Blockwurst. Die Pilze hatten sechs Monate in einem Sarg aus Blech, abgeschattet vom Sonnenlicht, eingeschläfert in einer Sosse aus Essig, billigem Öl und verschiedenen Geschmacksverstärkern, geruht. Es war nur ein Augenblick, in dem sie die Welt erblickt hatten, dann verschwanden sie wieder in einem 450° heissen Ofen. Die Pizza ruhte auf ihrer rechten Hand, und in ihrer Linken hielt sie eine jener nichtssagenden Plastiktüten. Wie fast jeden Abend hatte sie noch das weisse Häubchen aus dem Krankenhaus auf dem Kopf. Das Fettgewebe ihrer Schenkel verspürte einen Heisshunger auf das müde Öl, das bei jedem Schritt sanft auf den Salamischeiben schaukelte. Die kleinen Zellen ihrer heissen Oberschenkel waren gierig, als sie im Treppenhaus ein Geräusch hörte. Punkt 21 Uhr 53 hatte Herr Erlenkötter die Wohnungstür hinter sich geschlossen. In der Linken hielt er die Leine von Gershwin, der die Stadt und noch mehr die Ausflüge um diese Tageszeit liebte. Herr Erlenkötter verschloss wie jeden Abend zuerst das obere Sicherheitsschloss und dann das Türschloss. Danach schnippte er den Schlüssel mit einer schnellen Bewegung in das dafür vorgesehene Lederetui. Die Hand, die die Leine des Hundes hielt, half der anderen, und nachdem er das Etui in seine rechte Jackentasche gesteckt hatte, begann für beide der Abend. Er begann für Gershwin, der schon an der Leine zog, weil er den scharfen Geruch von Desinfektionsmitteln und die süssen Ausdünstungen der Blondine von unten gerochen hatte, und er begann für Erwin.
Sie hörte das Schliessen der Tür, als sie gerade den Briefkasten öffnete. Zwei Rechnungen und ein Brief fielen auf den Boden. Einzig ein zweifach gefalteter Prospekt machte sich im Briefkasten breit. Es hatte alles verdrängt und wartete darauf, in liebevolle, interessierte Finger genommen und von neugierigen Pupillen gelesen zu werden. Mit einem entschlossenen Griff zerdrückte sie ihn und riss ihn aus dem Metallkasten. Sie knüllte ihn zusammen und warf ihn in einen Blecheimer zu Hunderten von Zetteln. Wartenden, die irgendwann einmal von einem Handschuh nach oben gerissen wurden, um dann im dunklen Häckselwerk eines LKW zu landen. Dann begann jene feuchte Reise, an deren Ende wieder ein neuer Prospekt stand. Nicht häufig spürte Gershwin den Geruch der Blondine im Treppenhaus in dieser Präsenz. Manchmal standen noch vereinzelte Geruchsmarken zwischen dem Geländer. Aber es war nicht der Duft der Gegenwart. Es war eine Vorvergangenheit, das Gefühl, zu spät dazusein. Für einen Moment eine Vergangenheit zu empfinden, die in 10 Minuten gänzlich der Geschichte des Alltags anheimfiel. Einer Geschichte, die von niemand geschrieben und die in jeder Sekunde milliardenfach an anderen Orten gelebt wird. Zwischen all der Süsse und Schärfe, die er von diesem Geruch kannte, roch er einen Anflug von Blut. Hellem, rotem Blut. Sein Atem beschleunigte sich. Während seine Nüstern diesen klaren Geruch von Hühnchen bis in die letzte Kapillare seiner Lunge einsaugte. Er musste dieses Hühnchen für einen Augenblick zwischen seinen Kiefern halten und seine Zähne in das tiefgefrorene Fleisch schlagen, auch wenn er wusste, dass Erwin dieses Verhalten niemals tolerieren würde und sowohl der Abendspaziergang als auch die Hundeplätzchen in den nächsten Tagen entfallen würden. Langsam schob sich die Krankenschwester, in der einen Hand die Pizza, in der anderen die Einkaufstüte, nach oben. Sie waren noch eine Stufe voneinander entfernt. Gershwin nahm sein Hundeherz zusammen und sprang.
Der Anläufer und andere Erben Kakakaniens
Wiener Kunsthefte 2/2005
Nun sind die Verfehlungen des Herrn Seipel also amtlich, nachdem der Rechnungshofbericht vorliegt, doch der Herr Direktor und seine Ministrantin sehen darin lediglich Detailfragen, also Nebensächlichkeiten, die ein Direktor mit dem großen Horizont ruhig links liegen lassen kann. Die für die KHM-Kontrolle zuständige Ministrantin will dem Steuerzahler - als politische Lösung – umgehend einen zweiten KHM-Direktor aufhalsen. Der darf dann alles aufräumen, was bislang links liegen geblieben ist. Der für das KHM unzuständige Staatsaekretär nutzte indessen die ORF-Pressestunde um klarzustellen, dass Seipels Fest zu Moraks 55-sten Geburtstag in Wahrheit eine Promotion für die El Greco-Ausstellung war, aber immerhin hat er daraus gelernt und versprochen: „Ich werde mich nie wieder von jemandem einladen lassen“.
Und unser aller Kunst-Sekretär hat bei der Gelegenheit auch gesagt: „Wir sehen Kultur nur als Kette von Skandalen, sie ist aber ein wesentliches Asset und Herr Seipel hat dazu Wesentliches geleistet. Er hat die Zuseherzahlen in astronomische Höhen getrieben. Das sind Fakten, die wir auch sehen sollen.“ Die unverschämten Redakteure wollten diese Fakten nicht sehen sondern wissen, ob es bei der steuerlichen Berücksichtigung von Mäzenatentum – „da sind Sie ja gescheitert“ – weitere Anläufe geben werde. „Diese Anläufe werde ich immer machen“, sprach Morak und outet sich damit als Stabhochspringer, der seinen Anlauf nimmt, mit voller Kraft den Stab über die Latte wirft und sich nach seiner Selbstdisqualifikation beschwert, dass er nicht beim Speerwerfen gewonnen hat. Soviel zu Moraks Beitrag zur Förderung des Mäzenatentums im Allgemeinen und zur steuerlichen Absetzbarkeit von Kunstankäufen im Besonderen.
Als Beweis, dass er nichts gegen Mäzenatentum einzuwenden hat, führt Morak Max Hollein ins Treffen: „Max Hollein sagt, ich lasse den Staat außen vor und gehe nur noch auf private Sponsoren.“ Max Hollein ist übrigens Moraks Beitrag zur Biennale in Venedig – soviel Staat muss sein - und auch Moraks Beitrag, dass diese Erbpacht wieder in der richtigen Familie gelandet ist – so ein bisserl Hofstaat darf´s schon sein. Schon Hollein der Ältere war Österreichs Vertreter der 36. Biennale Venedig 1972. Von 1978 - 1990 war er der österreichische Kommissär für die Biennale der bildenden Künste in Venedig, von 1991 - 2000 war er auch österreichischer Kommissär für die Architekturbiennale in Venedig, der er im Jahr 1996 auch als Gesamtdirektor vorstand. Hollein der Jüngere war bereits im Jahr 2000 Kommissär und Kurator des amerikanischen Pavillons bei der VII. Architekturbiennale in Venedig. Nun darf er endlich für sein Vaterland Kakanien den Pavillon in Venedig kommissionieren.
Indessen wird im Reiche Albrecht des Großen der Begriff der „Vollrechtsfähigkeit“ ganz im Sinne des absoluten Monarchen neu interpretiert. So sei es sein volles Recht, den einen oder anderen Feldhasen auf Reisen zu schicken, lässt er die Leser des Magazins „profil“ wissen. Beamte des Denkmalamtes und sonstige Haftelmacher unseres Rechtsstaates sollten ihn dabei gefälligst nicht beschränken. Vollrechtsfähig oder unzurechnungsfähig ist da die Frage, die aber nur ein Plebejer wie ich stellen kann. Dabei habe ich selbst erst kürzlich die Segnungen absolutistischer Machtausübung zu schätzen gelernt.
So bekenne ich mich hiermit schuldig, dass ich in der vorigen Ausgabe der „Wiener Kunsthefte“ meinen Kommentar über den Museumsbericht mit der Forderung abgeschlossen habe, man solle ein Tabu brechen und das absolute Verbot von Verkäufen aus den Museumsdepots überdenken. Verkäufe sollten zugelassen werden, wenn der Erlös wieder zu hundert Prozent in den Ankauf neuer Werke fließt, habe ich noch vor drei Monaten gemeint. Damit sei einer lebendigen Sammlung gedient, und auch einer neuen Profilierung der Museen, dachte ich damals ganz naiv. Doch diese Gedanken sind der gnadenlosen Zensur der „Wiener Kunsthefte“ zum Opfer gefallen, und heute bin ich heil froh über das segensreiche Wirken dieser Institution. Man stelle sich vor, diese Idee hätte ihren Weg genommen bis in die Köpfe der allmächtigen Museumsdirektoren. Was nutzt es da, dass ich gefordert habe, allfällige Verkäufe nur unter den strengsten Auflagen und in vorab definierten Grenzen zu genehmigen. Wer fragt denn in unserem Kakanien nach Genehmigungen, und wer würde denn hier strenge Auflagen erteilen!?