logo

bild

Kunstmanager Hubert Thurnhofer schreibt über die „BAUSTELLE PARLAMENT“ – keine geniale heimische Architektur, sondern eine defekte Verfassung

Blitzblank gefegt und mit modernster Technologie ausgestattet haben sich bei Besuchen in den letzten Jahrzehnten die Hallen und luxuriösen Räumlichkeiten der Parteigranden und ihres Gefolges im Wiener Parlament stets präsentiert. Da und dort ist immer wieder frisch Hinzugefügtes zu sehen gewesen, etwa der elegante neue Publikumseingang. Und auf einmal hat es geheißen: Wir müssen total renovieren, es regnet herein und den Statuen bröckeln die Nasen und Zehenspitzen ab. Kurz und gut: Raus aus den teuren Hallen in ein ganz gut gemachtes Ausweichquartier – mit sich jahrelang hinziehendem Umbau, mit sich ständig steigernden Kosten.

250 Meinhard Ruedenauer
   

„Baustelle Parlament“ hat Hubert Thurnhofer, Kunstmanager, Kommunikationsberater, Philosoph und Galerist des bis 2019 legendären „Kunstraums“ in den Wiener Ringstraßengalerien sein neues Buch benannt. Doch der Kulturfachman nimmt nicht den Bauwahn der Parlamentarier aufs Korn, sondern er setzt sich als Geisteswissenschafter mit der Österreichischen Verfassung aus dem Jahr 1920 auseinander. Da stimme so einiges nicht mehr für die heutige Zeit, meint er. Kein Recht auf Gerechtigkeit konstatiert Thurnhofer über die gegebenen Machtbefugnisse. Folgert weiter: Österreichs Verfassung ist in schlechter Verfassung. Und somit legt er eine Lehr- und Streitschrift vor, welche darauf hinweist, dass dies, was vor hundert Jahren nach dem Untergang der k.u.k. Monarchie passend und gut gewesen ist, nun zu einem durch die Jahre mit stets neu hinzugefügten Paragraphen ein zusammen gestoppeltes Flickwerk geworden sei. Auch wenn Bundespräsident Van der Bellen vor kurzem die „Eleganz, ja die Schönheit unserer Österreichischen Bundesverfassung“ hervorgehoben hatte.

 

Also, so oder so, Thurnhofer oder Van der Bellen: Die Argumente, weshalb die Verfassung aus längst vergangenen Tagen nach der Abschaffung des Habsburgischen Kaiserreiches für dieses 21. Jahrhundert nicht mehr entsprechen kann, sind hier nachzulesen. Als eine gute Lektüre für aufgeschlossene Staatsbürger, locker und doch mit Nachdruck vorgebracht. Thurnhofer analysiert die historischen Paragraphen wie eine Partitur, und lässt mit der Aufforderung zu einer radikalen Erneuerung der Verfassung aufhorchen: Dem Staatsapparat ist alles Sagen und Walten übertragen, die Parteiendemokratie hat sich zu einer Diktatur der Parteien gewandelt. Die Parteiführer sind die Mächtigen, nicht das Volk, und zwischen Parteien- und Länder- und Sozialpartner-Interessen seien die Interessen der Gesellschaft auf der Strecke geblieben.

 

Wie auch immer über solche Überlegungen gedacht werden mag, welche echt klugen Ideen zu einer Änderung der hundertjährigen Verfassung führen könnten – den derzeitigen Parlamentariern scheint solch eine Initiative nicht so ganz zu schmecken. Sie nehmen diesen angedachten Entwicklungsprozess nicht an. Und so wird der Kunstexperte selbst zu einem Künstler: Er geigt als Avantgardist den Bonzen vor, was in zwei, drei Jahrzehnten als richtig angesehen werden könnte. Vielleicht, vielleicht am Weg zu einer neuen Denkungsart für kommende Generationen. Auf kreative Art, wie in der schöpferischen Kunst. Thurnhofer hofft, dass Österreich auf eine erwachsene Demokratie zusteuern könnte. Zitat:“ Nicht die Parteien in ihrer Einfalt und Ideenlosigkeit, sondern die Menschen in ihrer Vielfalt und Kreativität sollen das Land regieren!“

 

Erschienen zuerst im Online Merker am 30.1.2021

Weitere Lesermeinungen ...

Inhaltsverzeichnis der Baustelle Parlament

 

P.S.Tätigkeitsbericht der Liste JETZT Die Wiener Zeitung berichtet am 24. Jänner 2021.

Untertitel des Werkes: Justiz und Verfassung 2017-2019, von Alfred J. Noll, Udo Szekulics und Jakob Tschachler, Czernin, Wien 2020, 1006 Seiten, 69 Euro

 

Banner Philosophische Praxis