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30.11.2011 - Der Arabische Frühling war der Anfang vom Ende zahlreicher Diktatoren. Nach dem Exitus des Colonello Gaddafi musste auch noch Cavaliere Berlusconi seinen Hut nehmen. Kommt mit Occupy Wallstreet nun auch das Ende der Finanz-Diktatur?

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Während im Arabischen Frühling die Diktatoren die Sprache des Volkes, nämlich gewaltlose Demonstrationen gegen die Willkürherrschaft, kennenlernen mussten, lassen sich die Politiker im Europäischen Raum weiterhin von der Sprache der Finanzindustrie dirigieren. Und die suggeriert bis heute erfolgreich, dass die Finanzmärkte nicht regulierbar sind. Obwohl unmittelbar nach dem Finanz-Crash 2008 die Regulierung der Finanzmärkte in aller Munde war, ist bis heute nichts passiert. Eine der Folgen ist die Unfähigkeit zur Bewältigung der Schuldenkrise Griechenlands.

Seit einem Jahr ist jedem Kind klar, dass Griechenland so tief in der Kreide steht, dass es seine Schulden niemals zurückzahlen wird können. Trotzdem sahen die Regierungen der Euro-Länder keinen anderen Ausweg, als zunächst im Monatsrhythmus, dann im Wochentakt neue „Rettungsschirme“ über Griechenland aufzuspannen, d.h. Geld in ein Fass ohne Boden zu schütten. Bis Sommer haben uns die Politiker gebetsmühlenartig eingeredet, es dürfe keinen „ungeordneten Bankrott“ Griechenlands geben und Gertrude Tumpel-Gugerell sagte in ihrem letzten Interview als Noch-EZB-Direktorin im Juli, die Europäische Zentralbank denke über so etwas gar nicht nach! Wozu sind denn die hochbezahlten Experten in der EZB dann eigentlich da, wenn nicht darüber nachzudenken, wie man einen Schuldenausgleich, und zwar geordnet nicht ungeordnet, durchführen soll, so wie das bei Konkursverfahren von Unternehmen ganz selbstverständlich ist?

(ANMERKUNG 30.1.2012: Den Stehsatz von der "ungeordneten Insolvenz", die es abzuwenden gilt, hat Österreichs Bundes-Faytschi sogar am 29.1.2012 noch zu jeder Tages- und Nachtzeit abrufbar. Und das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hält das für berichtenswert!)

 

Neuerscheinung: MORAL 4.0

ISBN 9783744890977

 

 

War die EZB nicht imstande oder nicht bereit Worst Case Szenarien ins Auge zu fassen und Auswege zu planen? Es lag offenbar an der mangelnden Bereitschaft! Denn seit Mai hat die EZB – statutenwidrig! - selbst Griechische Staatsanleihen aufgekauft. Ein Schuldenschnitt bei den Griechen würde für die EZB dementsprechende Verluste bedeuten und zu unabsehbaren Folgeschäden durch Verluste bei den Privatbanken führen. Solange die EZB-Präsidenten aber ihre Köpfe in den Sand stecken, kann die Finanzindustrie ihr Karussell lustig weiter treiben. Und das funktioniert so: Privatbanken holen sich zum Leitzinssatz von 1,25 Prozent, also praktisch zum Nulltarif, Geld von der EZB oder den Nationalbanken und borgen dieses Geld dann den Staaten. Die Staaten, die theoretisch über das Geldmonopol verfügen, müssen zur Begleichung ihrer Schulden immer neue Anleihen auflegen. Das ist zwar genau genommen ein Pyramidenspiel und laut Strafgesetzbuch strafbar, aber wenns der Finanzindustrie nutzt, darf man das nicht so eng sehen. Die Zinsen der Anleihen steigen je nach Risiko. Da das in Griechenland bekanntlich besonders hoch ist, bis in astronomische Höhen von 60 Prozent!

Wenn dann die Medien berichten, dass die „Renditen“ für Staatsanleihen wieder gestiegen sind, so haben sie mit diesem Begriff – bewusst oder unbewusst – zum Ausdruck gebracht, wes Geistes Kind sie sind. Denn „Renditen“ macht nur die Finanzindustrie, die Staaten, und damit alle Bürger, machen Schulden und zahlen dafür Zinsen, die von ominösen „Marktkräften“ beliebig nach oben geschraubt werden können. Dass sich fast alle Staaten immer noch diesem Diktat der Finanzindustrie unterordnen, bleibt trotz anders lautender frommer Beteuerungen ein Faktum. Die Autoren Hörmann/Pregetter haben in ihrem Buch „Das Ende des Geldes“ dazu drei fundamentale Fragen gestellt:

„1) Wieso verschuldet sich der Staat bei den Privatbanken, wenn doch in Wahrheit nur er selbst über das Monopol der Geldschöpfung, das er an die Zentral- und Geschäftsbanken delegierte, verfügt?

2) Wieso verschuldet sich der Staat überhaupt? Es ist doch bizarr, dass er zuerst den Banken per Lizenz das Recht überträgt, per Kredit „Geld aus dem Nichts“ zu erzeugen, um sich dann bei ebendiesen Banken zu verschulden.

3) Wieso zahlt der Staat für seine Schulden auch noch Zinsen? Aufgrund der Staatsverschuldung erzielt der Finanzsektor nämlich Gewinne aus dem Nichts: Für Deutschland ca. 70 Mrd Euro bei ca. 4% pro Jahr – für Österreich ca. 8 Mrd Euro.“ (S. 69)

Offenbar ist es zu viel verlangt von unseren Politikern, solche Fragen zu stellen, geschweige denn, Antworten auf solche Fragen zu suchen. Statt dessen zucken sie reflexartig wie Hampelmänner, wann immer die unregulierte Finanzindustrie einen kleinen Hustenanfall hat. Im August, nachdem alle Industriezweige die besten Quartalsergebnisse seit vielen Jahren präsentiert hatten, stürzten plötzlich – so wie immer für alle unerwartet – die Börsenkurse ins Bodenlose. Europas Spitzenpolitiker eilten nach Brüssel und verkündeten im Chor: „Wir tun alles, um die Finanzmärkte zu beruhigen!“ Warum eigentlich? Ist das die wichtigste Aufgabe der Politik? Die Beruhigung der Finanzmärkte?

Sollten demokratische Politiker nicht den Willen des Volkes vertreten statt die Interessen einer kleinen Finanzclique umzusetzen? Offenbar nicht. Wie sich die politische Kaste vom Finanzmarkt treiben lässt, hat einmal mehr das hysterische Aufschreien von Außenminister Spindelegger und Finanzministerin Fekter gezeigt, nachdem die ungarische Regierung im September den Forint-Franken-Kurs neu geregelt hatte. Dabei hat die ungarische Regierung seit Jahren erstmals in Europa genau das gemacht, wozu eine Regierung da ist: sie hat im Interesse der Bevölkerung gehandelt und nicht im Interesse der Finanzindustrie. Denn die Banken haben den Fremdwährungskredit erfunden und an tausende Häuslbauer verscherbelt. Diese sollten aber wieder mal allein die Zeche zahlen, nachdem der Franken im Verhältnis zum Forint enorm gestiegen ist. Ungarns Regierung hat deshalb einen niedrigeren Wechselkurs festgesetzt.

Spindelegger/Fekter schickten umgehend Drohgebärden Richtung Ungarn, noch bevor sich die österreichischen Banken, die den ungarischen Finanzmarkt dominieren, zu Wort melden konnten. Am schnellsten erholte sich der Chef der Erste-Bank, Andreas Treichl, von seinem Schock und gab ein paar Wochen später Abschreibungen bekannt und revidierte das Quartalsergebnis von plus auf minus 800 Millionen Euro. So einfach, und so schnell kann´s gehen, wenn eine Regierung regiert. Auch wenn nun der Schuldenschnitt Griechenlands bereits als mögliche Variante im politischen Raum steht, so sind die fundamentalen Systemmängel noch lange nicht behoben. Auch die vielfach gefordert Transaktionssteuer ist nur Kosmetik. Denn dabei schneiden die Staaten am kranken System mit, anstatt dieses grundlegend zu reformieren.

Vielleicht bringt ja das Jahr 2012 einen „Europäischen Frühling“ und einen „Amerikanischen Frühling“. Das könnte durchaus sein, wenn sich die Bewegung Occupy Wallstreet weiter ausdehnt. Laut http://occupywallst.org/ handelt es sich dabei um eine „führerlose Widerstandsbewegung mit Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Geschlechter und politischer Überzeugungen. Das einzige, was wir alle gemeinsam haben ist, dass wir zu den 99 Prozent gehören, welche die Gier und Korruption des einen Prozentes nicht mehr tolerieren werden. Wir setzen auf die revolutionäre Taktik des Arabischen Frühlings, um unsere Ziele zu erreichen. Dabei fördern wir den Einsatz der Gewaltlosigkeit, um die Sicherheit aller Beteiligten zu maximieren.“

 The Global Player, Dezember 2011

Uwe Woitzig, ein Finanzjongleur, der ausgestiegen ist, berichtet VERA am 8.1.2012

Foto und Skulpturen "Wächter": Manfred Kielnhofer

 

Ergänzung 19.4.2012: Hans-Werner Sinn: Euro-System vor Explosion (Artikel in pressetext.at)

 

Ergänzung Juni 2018: Brauche wir ein neues Geldsystem - Aritkel erschienen in ethik-heute.org

 

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