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Wenn ein Manager innovative Entwicklungen umsetzen will, dann beginnt er mit Analysen und Machbarkeits-Studien bevor er einen entsprechenden Plan zur Umsetzung entwickelt. Wenn einer der reichsten Unternehmer dieser Welt eine Mission verfolgt, geht er genau so vor. „Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind“, das erläutert Bill Gates in seinem neuen Buch „Wie wir die Klima Katastrophe verhindern“. (Siehe auch Bericht der Nachrichtenagentur pressetext.com)

 

Bill Gates Klima c Piper Verlag 500

 

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Das Paradigma

Zur Erreichung der Klimaziele von Paris muss die Menschheit jährlich 51 Milliarden Tonnen Treibhausgase (ca 36 Milliarden Tonnen CO2 plus 15 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente wie Methangas) auf Null senken, und zwar bis 2030. Die Mission: „Wir müssen etwas Gigantisches erreichen, das wir noch nie zuvor versucht haben, und das auch noch viel schneller als alles Vergleichbare, was wir jemals geschafft haben. Auf diesem Weg wird die Arbeit von Wissenschaftlern und Ingenieuren eine Menge Durchbrüche brauchen. Wir müssen einen Konsens aufbauen, den es derzeit nicht gibt, und wir müssen auf politischer Ebene einen Übergang vorantreiben, der sonst nicht stattfinden würde.“ (S. 68)

Bill Gates hat fünf Bereiche als Hauptverursacher der Treibhausgase erfasst: die Stromerzeugung mit 27 Prozent Anteil an den 51 Milliarden Tonnen, die Industrieproduktion mit 31 Prozent, die Landwirtschaft mit 19. Prozent, Transport und Verkehr mit 16 Prozent, sowie Kühlen und Heizen mit 7 Prozent. In allen Bereichen klaffen große Lücken zwischen den Zielvorgaben und dem Status quo fünf Jahr nach dem Pariser Klimagipfel.

 

Stromerzeugung

Mit Kohle (36 Prozent) Erdgas (23 Prozent) und Öl (3 Prozent) wird bis heute ein Großteil des Stroms mithilfe fossiler Rohstoffe erzeugt. Erneuerbare und Wasserkraft decken 27 Prozent, Atomkraft 10 Prozent. Bill Gates rechnet damit, dass die Menschheit bis 2050 „wesentlich mehr als das Dreifache der elektrischen Leistung brauchen“ (S. 102) wird. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass 860 Millionen Menschen noch gar keine Stromversorgung haben, wachsender Wohlstand in unterentwickelten Ländern steigert ebenso den Stromerbrauch wie die Umstellung von industriellen Produktionsverfahren. Lösungen sind Energiesparen, höhere Energieeffizienz und zehnmal schnellerer Ausbau der Erneuerbaren, bessere Stromleitungen (in den USA ist das Stromnetz offenbar „ein chaotischer Flickenteppich“), bessere Energiespeicher und Wasserstoff, dessen Herstellung allerdings wiederum Strom benötigt und teuer ist. So bleibt eine Lösung, der Gates sein persönliches Plädoyer widmet: Die Atomkraft „Sie ist die einzige CO2-freie Energiequelle, die zuverlässig und rund um die Uhr elektrischen Strom liefern kann, zu jeder Jahreszeit und fast überall auf der Welt, und die nachgewiesenermaßen im großen Maßstab funktioniert.“ (S. 108) TerraPower, eine Firma die Gates 2008 gegründet hat, forscht in den Bereichen Kernspaltung und Kernfusion, denn „am wichtigsten ist, dass die Menschheit sich wieder darauf besinnt, den Fortschritt auf dem Gebiet der Kernenergie ernsthaft voranzutreiben – sie ist einfach zu vielversprechend, um ignoriert zu werden.“ (S. 114)

 

Industrieproduktion

Stahl, Beton und Plastik sind die wichtigsten Produkte, die künftig CO2-frei hergestellt werden müssen, wenn das Ziel der Null-Emission erreicht werden soll. Bei der Produktion von einer Tonne Stahl werden etwa 1,8 Tonnen CO2 freigesetzt, bei der Herstellung von Zement ist das Verhältnis 1:1. Hauptproduzent von Zement ist China. Auch wenn dort der Bauboom in den kommenden Jahren nachlassen wird, folgen andere Schwellenländer mit wachsendem Bedarf. Bis 2050 dürfte sich der weltweite Bedarf an Zement – und der damit verbundene CO2-Ausstoß – auf jährlich 4 Milliarden Tonnen belaufen. Plastik ist aus dieser Klimaperspektive „nicht so schlimm“, denn es kann CO2 sogar auf Jahrzehnte binden. „Im Meer herumtreibende Plastikteile verursachen alle möglichen Problem; nicht zuletzt können sie Meerestiere und -pflanzen vergiften. Aber die Klimaveränderung verschlimmern sie nicht.“ (S. 134) Lösungsansätze liegen darin, möglichst viele Prozesse zu elektrifizieren, die verbliebenen Emissionen mithilfe von CO2Abscheidung einzufangen und wenn möglich in der Produktion wieder zu verwerten, sowie Materialien sparsamer zu nutzen. „Das wird eine Menge Innovationen erfordern“, resümiert der Technologe Bill Gates.

 

Landwirtschaft

Das Hauptproblem dieses Sektors sind „Farmen voller rülpsender Kühe“. (S. 141) Diese produzieren Methan, das 28-mal mehr Erwärmung pro Molekül verursacht als CO2. Eine Milliarde Kühe auf unserem Planeten produzieren ein CO2-Äquivalent von zwei Milliarden Tonnen. Dazu kommen die Düngemittel, die einerseits in der Herstellung CO2 verbrauchen (bereits eingerechnet im Kapitel Industrieproduktion), aber auch in Form von Distickstoffoxid den Boden kontaminieren oder in die Luft entweichen. Ohne Einsatz von Dünger könnte die Welt heute nur 50 Prozent der Menschen ernähren. Angesichts des weiteren Bevölkerungswachstums fordert der Philanthrop Bill Gates: „Die Welt nutzt schon heute große Mengen Dünger, und die armen Länder sollten noch viel mehr davon nutzen“. Lösungsansätze für die Zwickmühle, in die uns der wachsende Nahrungsmittelbedarf bringt, soll der Wald liefern: „Die effektivste Strategie, was die Wälder im Zusammenhang mit dem Klimawandel angeht, besteht darin, das Abholzen derjenigen Bäume zu stoppen, die wir bereits haben.“ (S. 163) Sogar Geoengineering will Bill Gates in Betracht ziehen, auch wenn die "Gangbarkeit dieser Visionen noch unbewiesen" ist. (S. 220) Doch „letzten Endes müssen wir möglichst bald 70 Prozent mehr Nahrungsmittel produzieren und gleichzeitig die Emissionen herunterfahren … Dafür braucht es jede Menge neuer Ideen.“ (S. 163)

 

Transport und Verkehr

Transport und Verkehr sind zwar nicht die größte Ursache von Emissionen weltweit, sehr wohl jedoch die Nummer 1 in den USA, und das schon seit einigen Jahren, knapp vor der Stromerzeugung. Wir Amerikaner fahren und fliegen tatsächlich sehr viel“ - besonders gerne mit großen Autos. Neben 5 Millionen normalen Pkw wurden in den USA 2019 über 12 Millionen SUV verkauft. Hilfreich zum Verständnis, wo die Menschen ansetzen müssen, um das Problem zu lösen, ist eine Tortengrafik. Demnach ist „das Auto nicht der einzige Übeltäter“ aber mit 47% sind Pkw und Motorräder der Hauptverursacher der 9,7 Milliarden Tonnen CO2, die der Verkehr verursacht. Es folgen LKW und Busse mit 30 Prozent, Fracht- und Kreuzfahrtschiffe 10 Prozent, Flugzeuge 10 Prozent und sonstige 3 Prozent. Zumindest für den Bereich Pkw hat Gates eine Alternative, die er selbst nutzt, wenn er in Seattle über die zwei Kilometer Lange Pontonbrücke in das Headquarters seiner Stiftung fährt: „Ich bin Besitzer eines Elektroautos, und ich bin begeistert.“ (S. 170) Ob der er in mehr als ein Elektroauto investiert hat, ob er etwa Anteile an Tesla hält, verrät er nicht. Die Logik des Wirtschaftsführer Bill Gates: „wir sollten möglichst viele E-Autos auf unsere Straßen bringen, da diese immer erschwinglicher werden.“ (S. 172) Weitere Alternativen sind Biokraftstoffe (Ethanol), Wasserstoff und „Drop-in-Kraftstoffe“, die aus Kohlenstoff gewonnen werden, der sich bereits in der Luft befindet. Neben gewöhnlicher CO2-Filter bei Industrie- und Kraftwerksanlagen (CCS Carbon Capture and Storage) soll CO2 künftig direkt aus der Luft entnommen werden (DAC Direct Air Capture). Die CO2-freie Zukunft in einem Satz: „Elektroantrieb für alle Fahrzeuge, bei denen dies möglich ist, und billige alternativer Kraftstoffe für den Rest.“ Nicht zu vergessen: „Wir brauchen Innovationen, um hier die Preise zu drücken.“ (S. 185)

 

Kühlen und Heizen

So wie der Verkehr betrifft dieser Bereich den Alltag der Menschen direkt, zumindest in den reichen Ländern. 90 Prozent der Amerikaner, Japaner und Koreaner haben Klimaanlagen, doch weniger als 10 Prozent der Inder und Afrikaner. So ist Raumkühlung ein starker Wachstumsmarkt und der Strombedarf dafür dürfte sich bis 2050 verdreifachen. „Wir stecken in einem Teufelskreis: Wir kühlen unsere Wohnungen und Büros immer stärker herunter und heizen zugleich das Klima immer weiter auf.“ (S. 190) Dazu kommen die F-Gase, die bei Kühlanlagen im Laufe der Zeit austreten. „F-Gase tragen in ganz extremer Weis zum Klimawandel bei: Im Lauf eines Jahrhunderts verursachen sie ein Vieltausendfaches dessen an Erwärmung, was die entsprechende Menge Kohlendioxid produziert“ (S. 191) Lösungsansätze findet Gates in der Umrüstung der Haushalte auf Wärmepumpen und in der Förderung der Entwicklung moderner Biokraftstoffe und synthetischer Kraftstoffe. „Diese Brennstoffe wären in unseren heutigen Heizungs- und Warmwassersystemen bereits einsetzbar, ohne diese umrüsten zu müssen, und sie würden die CO2-Bilanz der Atmosphäre nicht zusätzlich belasten.“ (S. 195)

 

Conclusio

In weiteren Kapiteln erklärt Bill Gates, dass wir uns an die Erderwärmung anpassen und dabei besonders die Armen unterstützen müssen, warum es dabei auf die Politik ankommt, und nicht zuletzt was jeder Einzelne tun kann. Seine Pläne zur Dekarbonisierung: „Erstens müssen wir alles daran setzen, CO2-neutralen Strom möglichst billig und verlässlich bereitzustellen; und zweitens braucht es eine möglichst umfassende Elektrifizierung – von Fahrzeugen über industrielle Prozesse bis hin zu Wärmepumpen, und das natürlich gerade dort, wo wir bisher für die Stromversorgung angewiesen sind.“ (S. 245 f) Zur Verwirklichung der dafür erforderlichen Innovationen sind die Regierungen gefordert, den Aufwand für Forschung und Entwicklung zu verfünffachen (S. 249) und dabei „risikoreiche, aber auch besonders chancenreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte“ zu fördern (S. 250)

 

Kritik

(Siehe auch Kommentare auf fischundfleisch.com) Die Agenda der Pariser Klimakonferenz hat bereits Fahrt aufgenommen, insbesondere die neue EU-Kommissarin Ursula von der Leyen will mit dem Green Deal Europa zum ersten klimaneutralen Kontinenten der Welt machen. Der Weg zu diesem Ziel ist jedoch voller Widersprüche: so ziemlich jede Maßnahme, die vorgeschlagen wird, führt umgehend zu mehr Stromverbrauch, doch die Stromproduktion selbst ist noch zu 62 Prozent von den fossilen Ressourcen Kohle, Erdgas und Öl abhängig.

Bill Gates hat dieses Dilemma gründlich dokumentiert und analyisiert, seine Pläne bleiben jedoch sehr allgemein. Man könnte auch sagen: oberflächlich. Sie gehen nicht tiefer als jeder „Grundkurs Wirtschaft“, wie der Autor selbst bestätigt, wenn er sich auf das „Gesetz von Angebot und Nachfrage“ beruft (S. 248), um innovative Lösungen zur Einsparung von CO2 zu forcieren. Weiters fordert der „Technologe, Wirtschaftsführer und Philanthrop“ (Quelle: Piper Verlag), dass die Regierungen (riskante) Forschung fördern sollen, bis diese (innovative) Produkte hervorbringen und den Unternehmen ermöglichen Profite erwirtschaftenDass jedoch mehr Staatsausgaben nur durch höhere Steuern möglich sind, bleibt in den Betrachtungen des Autors ausgespart.Das einfache Rezept, die Klimawende durch Steuerpolitik zu steuern, indem man fossile Rohstoffe sehr hoch und erneuerbare Energie sehr niedrig besteuert, bringt der Wirtschaftsführer nicht ins Gespräch. Diese Form der Planung wird in Amerika als sozialistisch, wenn nicht geradezu als kommunistisch verachtet.

Bill Gates ist ein typischer Amerikaner. Typisch auch der Hinweis, dass die Amerikaner gerne Auto fahren (und die amerikanischen Autofahrer den größten CO2-Ausstoß in ihrem Land verursachen), der ohne kritische Schlussfolgerungen bleibt. Und ohne Konsequenzen, solange die US-Regierung die Mineralölsteuer nicht drastisch erhöht. Während die Mineralölsteuer in den USA 4-5 Cent pro Liter Benzin bzw Diesel beträgt und seit 1993 (!) niemals an die Inflation angepasst wurde, beträgt die Mineralölsteuer in der EU 32 Cent (Ungarn) bis zu 72 Cent (Italien) pro Liter. Im Verhältnis zu anderen Produkten, deren Preise sich in den vergangen 20 Jahren verdoppelt haben, ist aber Treibstoff auch in der EU immer noch „spottbillig“. Dieses Beispiel zeigt, dass das Paradigma des Klimawandels noch nicht zum Paradigmenwechsel in Politik und Wirtschaft geführt hat. Die Politik vermeidet weiterhin, heiße Eisen anzugreifen, um ihre Wähler nicht zu verärgern. Die Wirtschaft ist weiterhin auf Gewinnmaximerung augerichtet. Und jene Menschen, die sich bereits so intensiv wie Bill Gates mit dem Problem Klimawandel beschäftigt haben, bleiben doch linearen, monokausalen Erklärungen verhaftet.

So sieht der Technologe den Wald, der einfach vor sich hinwachsen soll, nur als Randthema in der Landwirtschaft, obwohl die Kreislaufbewirtschaftung des Waldes in Europa in vielenTeilen der Welt seit Jahrzehnten positive Beiträge zur CO2-Bilanz liefert und exemplarisch für nachhaltige Bewältigung aller fünf Bereiche stehen könnte. Auch blinde Flecken zeigen sich in der Analyse, so kommt das Wort "Fracking" im vorliegenden Buch überhaupt nicht vor. Die Verschmutzung der Natur und Weltmeere durch Plastikmüll und alle damit verbundenen Probleme von den Ursachen bis zu den Auswirkungen werden in einem Nebensatz abgehandelt: „nicht so schlimm“. Nicht zuletzt birgt eine Technologie-Gläubigkeit Gefahren, wenn sie sogar die Hoffnung auf "Wunder" (wie die Erfindung von Strom oder die Entwicklung von Kunstdünger) impliziert. So wird beispielsweise ernsthaft in Erwägung gezogen, dass dank Bioengineering (konkret das Impfen von Wolken durch sonnenreflektierende Moleküle) die Erdtemperatur um bis zu einen Grad gesenkt werden könnte, mit der techno-naiven Prämisse, dies könne der Umwelt in keiner Weise schaden.

Ob ein weltumspannendes Projekt wie die Verhinderung der Klimakatastrophe überhaupt planbar ist, bleibt offen; ebenso die Frage, ob die Beseitigung von klimaschädlichen Technologien allein durch klimafreundliche Technologien die Welt retten kann. Alles Andere kann gemäß der Analyse von Bill Gates nur marginale Einsparungen bringen. Denn sollten alle reichen Menschen dieser Welt sofort auf große Teile ihres Luxuslebens verzichten, so rücken sofort die armen Menschen aus den Schwellenländern nach, die entsprechenden Nachholbedarf haben. Abgesehen davon, dass bis zum Jahr 2100 eine Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen zu erwarten ist. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt: „Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich die ganze Welt dazu ermutigen möchte, effektive Pläne für den Umgang mit dem Klimawandel zu verabschieden.“ (S. 291)

 

Alle Zitate aus:

Bill Gates

Wie wir die Klima Katastrophe verhindern. Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind

Piper Verlag München 2021

 

Siehe auch: How the cult of Bill Gates is leading us towards a climate disaster

 

Siehe auch:"The billionaire’s new book, a bid to be taken seriously as a climate campaigner, has attracted the usual worshipful coverage. When will the media realize that with Gates you have to follow the money? During the pandemic, Bill Gates’s personal fortune has increased by an impressive $20 billion, but even these gains pale in comparison to his soaring political influence—as the news media has widely trumpeted his leadership on Covid-19, praising his charitable donations or extolling him as a “visionary” who predicted the outbreak.(Quelle: The Nation)

 

 

 

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