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Über "Etappen meines Lebens" erzählt die ehemalige ORF-Journalistin  Ursula Stenzel, EU-Politikern und Bezirksvorsteherin im ersten Wiener Gemeindebezirk. Das Buch enthält keine umfassende Geschichte ihres Lebens, das am 22. September 1945 in Wien begonnen hat, und erhebt, wie die Autorin im Nachwort betont, "keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit". Wer das Buch liest und die Stimme der langjährigen ZiB-Moderatorin kennt, fühlt sich wie der Flugbegleiter einer Frau, die viel zu erzählen hat.

 

Man muss sich freilich einen langen Flug vorstellen, beispielsweise von Brüssel nach Peking. Dies war die letzte Reise, die Ursula Stenzel als Delegationsleiterin einer EU-Abordnung absolvierte. Peking war allerdings nur ein Zwischenstopp auf der Reise nach Pjöngjang, wo sie einen wahren "Zivilisationsschock" erlebte. Unglaublich in der abgeschotteten Hauptstadt Nordkoreas erschien der Besuch eines Cafes, betrieben von Schweizer Adventisten, wo den Mitgliedern der EU-Delegation Wiener Melange mit Apfelstrudel serviert wurden. Das war im Juli 2005, im Dezember wurde Ursula Stenzel zur Vorsitzenden des ersten Bezirks gewählt. Von Wien, nicht von Pjöngjang.

 

Zehn Jahre hatte Stenzel diese Position inne, in ihrem 189 Seiten umfassenden Buch widmet sie dieser Zeit gerade mal 20 Seiten. Die ebenso lange Periode als EU-Abgeordnete hat sie - von ihrem "Sprung in die Politik" bis zu ihren Reiseberichten nach Polen, in die Ukraine, nach Malta, Afghanistan und zuletzt Korea - immerhin auf 50 Seiten aufgearbeitet. Dieser rein quantitative Vergleich lässt qualitative Schlüsse zu, über die sich jeder Leser seine eigenen Gedanken machen kann.

 

Der Titel des Kapitels "Von Brüssel nach Wien und warum ich zur FPÖ wechselte" lässt einen gelernten Wiener vermuten, dass sie so manches Erlebnis aus dieser Zeit verdrängt hat. In der Stadt von Sigmund Freud ist so eine Vermutung naheliegend. Eigentlich sind nur drei Streitfälle Inhalt dieses Kapitels: 1. die Gefährdung des Weltkulturerbes durch "hochspekulative Projekte" am Heumarkt, 2. der Bau einer Tiefgarage am Neuen Markt und 3. ein Konzert André Rieus, das fast gescheitert wäre, hätte die Bezirksvorsteherin nicht beim Bürgermeister interveniert.

 

In einem einzigen Absatz hat die Autorin ihr politisches Programm zusammengefasst: "Ich stürzte mich jedenfalls mit viel Energie und Leidenschaft in diese meine neue Aufgabe als 'kleine Bürgermeisterin' der Inneren Stadt und sah mich nicht nur als Anwältin der Bewohner, denn ich war eine von ihnen, sondern auch als eine Speerspitze gegen die Übermacht des roten Rathauses. Der schwarze Stachel im roten Fleisch." Der schwarze Stachel hat sich später blau gefärbt. Heute ist Ursula Stenzel parteilos.

 

Über Details dieser Wandlungen (und manchmal auch Verirrungen) verliert die Autorin kein Wort. Somit ist das Buch auch keine Abrechnung, wie sie zuletzt Reinhold Mitterlehner (siehe "Haltung") vorgelegt hatte, nachdem er von seinem Nachfolger abgesägt worden war. So eine Abrechnung spart sich die gebildete, gutbürgerliche Ex-Politikerin! Vermutlich nicht, weil sie alle Schweinereien der parteipolitischen Niederungen verdrängt hat, sondern weil sie dafür zu vornehm ist.

 

Ursula Stenzel

Wie im Flug - Etappen meines Lebens

Stocker Verlag, 2022

https://www.stocker-verlag.com/buch/wie-im-flug-e-book/

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