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Der Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft spiegelt sich auch im Stellenwert der Kultur in den Medien. Während man in den Printmedien über die bildende Kunst – wenns nicht um die neueste „Ausstellung der Superlative“ (Copyright Kurier) geht – kaum etwas liest, ist die Welt der Kultur in den Onlineversionen der Medien immerhin klar strukturiert. So teilt diepresse.at die Kultur ein in: News, Klassik, Pop&Co, Film, Medien, Literatur, Kino-Programm, TV-Programm. kurier.at hält sich gar nicht mit solchen Nuancierungen auf, sondern unterscheidet lediglich „Kultur“ und „Kult“, wobei er Kultur immerhin vor Geld&Wirtschaft und Sport&Motor reiht. Die für derstandard.at relevanten Rubriken der Kultur sind: Film, Musik, Bühne, Bildende Kunst, Literatur, Kulturpolitik, Kino, Programm.

So hilft mir derstandard.at bei einem schnellen Überblick über die aktuelle Kulturpolitik, um mich darüber zu informieren, worüber zu ärgern sich in Vorwahlzeiten absolut nicht lohnt. derstandard.at informiert mich auch gleich darüber, welche Themen mehrheitsfähig sind, denn die Anzahl der Postings und Votings sind dafür ein untrügliches Indiz. Immerhin 174 Leser haben auf die Meldung reagiert: „Ministerin Schmied erteilt den Plänen einer Novelle des Kunstrückgabegesetzes seitens VP-Chef Molterer eine Absage.“ Dagegen hat die Ankündigung „Finanzminister Wilhelm Molterer will als Bundekanzler das Kulturministerium übernehmen“ gerade mal 12 Postler (oder heißt es Poster?) zu einem Kommentar gereizt. Wirklich bewegt hat aber die Meldung „Die soziale Lage der Künstlerschaft hat sich im vergangenen Jahrzehnt verschlechtert: 37 Prozent verdienen unter 900 Euro“ – 231 Postings!

Da vor der Wahl nur so viel fest steht, dass auch nach der Wahl Kulturpolitik für Salzburger Festspiele und Leopoldinum aber nicht für Künstlersozialversicherungsfälle gemacht wird, werfe ich diesmal einen zeitlosen Blick auf die Kunst aus der Sicht der Literatur. Da ich als gelernter Journalist aber trotzdem einen Aufhänger brauche – und sei er an den Barthaaren des Philipp Maurer herbeigezogen – so trifft es sich gut, dass akkurat  vor 50 Jahren  Günter Grass für „Die Blechtrommel“ den Preis der Gruppe 47 erhalten hat. Das steht natürlich auch im Internet, zu finden unter wikipedia.de, wo auch steht, dass Grass in Danzig am 16. Oktober 1927 als Sohn eines usw. geboren usw. ist. Auch die – für die 30er Jahre weltweit einzigartigen -  Verhältnisse finden die Wiki-Autoren erwähnenswert: „Die kleine Zweizimmerwohnung hatte kein eigenes Bad. Günter Grass und seine Schwester Waltraut hatten kein eigenes Zimmer.“

Vielleicht liegt es ja an den beengten Wohnverhältnissen seiner Kindheit, dass Grass dann als Schriftsteller jeden Raum bis ins letzte Detail beschrieben und jede Straße und Stadt mit der Präzision des Geografen verortet hat, die Personen und Charaktere aber ziemlich leblos bleiben. Der Blechtrommler Oskar Mazerath, der zwei Bücher lang als ewig dreijähriger Gnom sein Unwesen treibt, wandelt sich im dritten Buch durch eine wundersame Metamorphose zu einem buckligen Liliputaner, der (in der Nachkriegszeit) erstmals Verantwortung für sein Leben übernimmt und einen Beruf als Grabsteinbildhauer übernimmt. Allerdings nur als Intermezzo, denn danach „besann Oskar sich seines Buckels und fiel der Kunst anheim!“ So wurde Oskar zum Akt-Modell (überraschender Weise an der Kunstakademie Düsseldorf, wo Grass selbst von 1948 bis 1952 studiert hatte). Ein gewisser „Professor Kuchen“ erklärt „dem Krüppel“ auch gleich die Kunst: „Kunst ist Anklage, Ausdruck, Leidenschaft! Kunst, das ist schwarze Zeichenkohle, die sich auf weißem Papier zermürbt!“ Weil es gerade zum 80er Jubiläum passt, deuten wir diese Aussage als Hommage an Alfred Hrdlicka. So könnte sich Prof. Kuchens Anweisung an seine Schüler auch Hrdlicka zur Maxime seines Schaffens gemacht haben: „Zeichnet ihn nicht, den Krüppel, schlachtet ihn, kreuzigt ihn, nagelt ihn mit Kohle aufs Papier!“

Auf Prof. Kuchen folgte der Bildhauer Maruhn, „der ja kein expressiver Kohlewüterich, sondern Klassiker war. ... Das Atelier Maruhns war staubig hell, fast leer und zeigte keine einzige fertige Arbeit. Überall standen jedoch Modelliergerüste für geplante Arbeiten, die so perfekt durchdacht waren, daß  Draht, Eisen und die nackten gebogenen Bleirohre auch ohne den Modellierton zukünfitge, formvollendete Harmonie ankündigten.“ So bleibt auch das Modell von Oskar nur Modell: „Seufzend resignierend, Kopfschmerzen vortäuschend, doch ohne Oskar zu grollen, gab er es auf, stellte das bucklige Gerüst samt Spiel- und Standbein mit den erhobenen Bleirohrarmen, mit den Drahtfingern, die sich im eisernen Nacken verschränkten, in die Ecke zu all den anderen frühvollendeten Gerüsten“. So ist also die klassische Vollendung im 20. Jahrhundert zum Scheitern verurteilt, oder – und diese Interpretation wird heute wohl mehr Verteidiger finden – das Konzept einer Form ist bereits ausreichend für den künstlerischen Schaffensprozess, die Vollendung der Form mag sich das Publikum dazu denken, oder auch nicht.

Zuletzt dient Oskar gemeinsam mit Ulla, die „überschlank, lieblich und zerbrechlich ist und an Boticelli und Cranach gleichzeitig erinnert“, dem Maler Raskolnikoff, „der mit unserer Hilfe zum Surrealismus fand“, als Modell. „Schließlich blieb es Raskolnikoff vorbehalten – man nannte ihn so, weil er ständig von Schuld und Sühne sprach – das ganz große Bild zu malen: Ich saß auf Ullas leichtbeflaumtem linken Oberschenkel – nackt, ein verwachsenes Kindlein – sie gab die Madonna ab; Oskar hielt still für Jesus“. Skandal und Tabubruch als Leitmotive der Kunst des 20. Jahrhunderts werden hier kurz, aber überzeugend ausgeführt. So bleibt es Oskars Lebensgefährtin Maria vorbehalten, ihn „mit ziemlicher Überzeugungskraft ein Ferkel, einen Hurenbock, ein verkommenes Subjekt zu nennen“. Oskar zieht in Folge aus der Wohngemeinschaft mit Maria aus und wird als Trommler berühmt. Auch wenn Grass Oskar, den Blechtrommler, in Jazzkellern und auf Konzertbühnen ansiedelt, so wird er doch zum allgemeinen Symbol des zeitgenössischen Künstlers, der mit nichts als einer Trommel suggestiv das Publikum vereinnahmt. Die Blechtrommel als Symbol der Werbetrommel.

Zitate: Günter Grass, Die Blechtrommel, Luchterhand 1979

Hubert Thurnhofer

Um:Druck  September 2008

Nachsatz 6. Oktober 2008: Um:Druck wird offenbar genau gelesen. Die Online-Presse bietet nun unter der Rubrik "Kultur" auch die Unterbereiche "Bühne" und "Kunst".

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