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Seit Anfang Februar 2020 bis Ende 2021 läuft in Österreich ein Volksbegehren für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Es kann auf jeder Gemeinde unterzeichnet werden.

 

TEXT: Wir fordern den Gesetzgeber auf, durch bundesverfassungsgesetzliche Regelungen, ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) einzuführen. Dieses soll jeder Person mit Hauptwohnsitz in Österreich ein menschenwürdiges Dasein und echte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Höhe, Finanzierung und Umsetzung sollen nach einem Prozess, an dem die Zivilgesellschaft maßgeblich beteiligt ist, gesetzlich verankert werden.

 

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4.1.2010 - Anlässlich der Wahl von Petja Dimitrova zur Vorsitzenden der IG Bildende Kunst erklärte die Künstler-Vertretung in einem Rundmail am 25. November: „Es geht unter anderem darum, gegen Prekarisierung - von nicht nur künstlerischen Arbeits- und Lebensbereichen - aufzutreten. Hierzu zählt beispielsweise die Solidarität mit der aktuellen Bildungsprotestbewegung. In diesem Zusammenhang schließt sich die IG Bildende Kunst der Forderung nach freier Bildung für alle an und tritt für ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie gegen die Ökonomisierung von Bildung und Kunst ein.“

 

Wie der Zufall so spielt, habe ich Ende September Sozialminister Hundstorfer genau zu dem Thema interviewt (siehe Die Bunte Zeitung Nr 5/2009)  Seine Position zum Grundeinkommen war erwartungsgemäß festbetoniert: „das ist in diesem Land politisch, mit den jetzigen Verhältnissen sicher nicht umsetzbar“ und „ich glaube, dass wir in Österreich dafür einerseits die finanziellen Mittel nicht haben und anderseits auch nicht den gesellschaftlichen Konsens.“ Einen Konsens zu leugnen, ohne einen Konsens gesucht zu haben, ist nicht gerade visionär.

 

Auch der Begriff der „Arbeit“, dem der Ex-Gewerkschaftsboss anhängt, passt aus meiner Sicht nicht mehr auf die Arbeitsverhältnisse des 21. Jahrhunderts. Arbeit setzt der Sozialminister mit Lohnarbeit und einem geregelten Beschäftigungsverhältnis gleich. Seit Beginn der 1990er Jahre brechen die Grenzen jedoch auf. Heute sind mehr als 90 Prozent von jährlich 30.000 Unternehmensgründungen so genannte EPU, Ein-Personen-Unternehmen, viele davon nur für einen Auftraggeber tätig. Sicher ist das für manche eine Notlösung, und manche werden in billige Umgehungsverträge gezwungen, damit die Auftraggeber Personalkosten sparen. Doch viele EPUs – und Künstler waren schon EPUs bervor dieser Titel erfunden wurde - wollen auch gar nicht mehr in ein festes Angestelltenverhältnis.

 

Die Gewerkschaft hat bis heute auf diesen Wandel nicht reagiert. Ihr einziges Ziel ist es diejenigen zu schützen, die bereits eine geregelte Arbeit haben. Einen Weg, wie sich EPUs vor Ausbeutung und Selbstausbeutung schützen können, hat die Gewerkschaft bis jetzt noch nicht gefunden, ja noch nicht einmal gesucht. Die Gewerkschaften – und mit ihnen der Sozialminister – kämpfen zwar gegen ungleiche Löhne, aber sie kämpfen nicht dafür, diejenigen Leistungen zu entlohnen, die für die Gesellschaft wesentlich wichtiger sind als beispielsweise die Spielchen gesellschaftspolitisch wertloser, aber hochbezahlter Finanzjongleure.

 

Das sogenannte Leistungsprinzip, wie es in einer Produktionswelt noch einigermaßen messbar war, ist auf die  Dienstleistungswelt längst nicht mehr anwendbar. Gagen und Honorare in Millionenhöhe sind mit Leistung nicht begründbar. Nicht begründbar, und auch nicht länger tragbar ist auch die Tatsache, dass viele Menschen Leistungen erbringen, die nie bezahlt werden. Kinderbetreuung, Jugendarbeit, Altenpflege, freiwillige Feuerwehr, Rettung, aber auch im kreativen Bereich überwiegt die unbezahlte Arbeit. Von 100 Künstlern kann vielleicht einer von seiner Arbeit leben, alle anderen müssen sich Nebenjobs suchen oder vegetieren am Existenzminimum.

Der Sozialbericht hält fest, dass 44% der österreichischen Bevölkerung ab 15 Jahren  in irgend einer Form Freiwilligenarbeit leisten. Wenn man den Begriff Arbeit noch weiter fasst kann man sagen: jeder arbeitet, auch wer keinen Job hat, denn keiner will untätig herumhängen! Das aktive Vereinsleben ist ein Indikator dafür. Die Leistungen der Freiwilligen stehen außer Frage, aber der Staat verhindert, dass aus diesen Leistungen ein Anspruch auf Entgelt erwachsen könnte. Mit dem Grundeinkommen wäre dieser Anspruch abgegolten. Doch der Sozialminister Rudolf Hundstorfer tut sich schwer, diese Leistungen als Arbeit zu qualifizieren.

 

Wer das System des bedingungslosen Grundeinkommens auf der Basis aufbaut, dass Arbeit und Leistung im 21. Jahrhundert neu bewertet werden müssen, der braucht nicht zu fürchten, dass es dafür keinen Konsens geben würde. Anders als vor 25 Jahren, als Lieselotte Wohlgenannt und Herwig Büchele das Buch „Grundeinkommen ohne Arbeit“ veröffentlichten, geht es heute nicht mehr um eine Grundeinkommen „ohne Arbeit“, sondern darum, die vielen Formen heute nicht als Arbeit anerkannter Leistungen neu zu bewerten. In einer grundlegenden Diskussion muss es um den Wert der Arbeit gehen, nicht nur um den Preis der Arbeit (= Lohnkosten). Leicht möglich, dass es dafür keinen parteipolitischen Konsens gibt, wie Minister Hundstorfer moniert. Für einen gesellschaftspolitischen Konsens wäre es aber bloß erforderlich, sich von der antiquierten produktionstechnischen und der zynischen finanztechnischen Bewertung von Leistung zu trennen und den gesellschaftlichen Wert einer Leistung als Grundlage für das Einkommen zu definieren.

 

P.S. KünstlerInnen und Kunstinteressierte, die die Zeit bis zur Einführung des Grundeinkommens noch mit konventioneller Lohnarbeit überbrücken wollen oder müssen, können sich (gemäß KarriereStandard vom 28./29.11.) um folgende Stelle bewerben: "LeiterIn Museumsmarketing". Kurios, dass sich das ausschreibende Museum hinter einer Personalagentur versteckt, sich aber gleichzeitig unzweideutig outet: "Als Kunstinstitution hat sich unser Haus einen internationalen Namen gemacht. Trotz der budgetären Einschränkung durch die restriktive österreichische Kulturpolitik konnten wir uns unsere progressive Haltung zur Kultur bewahren und eine Fülle von vielbeachteten Ausstellungen realisieren." Wer in dieser Formulierung nicht die Handschrift des MAK-Direktors erkennt, sollte besser gleich auf eine Bewerbung verzichten!

UM:Druck, Dezember 2009

 

Ergänzung 4.5.2018: Bedingungsloses Grundeinkommen - eine Realutopie

 

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