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18. November 2005 Ich freue mich, dass trotz zahlreicher anderer Events fast 200 Leute zur Eröffnung von Erika Seywalds Ausstellung FARBE IN MIR gekommen sind. Da ja auch im Kunstmarketing mehr und mehr Mittel der Popkultur zum Einsatz kommen, müssten wir heute eigentlichen einen Erika-Seywald-Fan-Klub gründen. Nein, das kann ich ihr nicht antun, denn ein künstlicher Hype würde dem Wesen dieser Künstlerin total widersprechen, die ihren Stil in den vergangenen Jahren ruhig und gelassen, unabhängig von allen Modetrends konsequent weiter entwickelt hat.

Dass Modetrends im Kunstmarkt eine enorme Rolle spielen ist unglaublich, aber wahr. Als ich vor elf Jahren begonnen habe, russische Künstler in Wien auszustellen, haben viele die Nase gerümpft, weil figurative Malerei, die in Osteuropa dominiert, damals nicht en vogue war. Heute hat die figurative Malerei, ausgehend von der sogenannten Leipziger Schule, ganz Europa flächendeckend – man muss schon fast sagen – okkupiert. Ich hab schon im Vorjahr nach dem Besuch der Art Cologne konstatiert, dass eine Art Neobiedermeier den Kunstmarkt erobert hat. Und dieser Trend hat sich in diesem Jahr offenbar noch zugespitzt.

So schreibt Karlheinz Schmid, der Chefredakteur der Kunstzeitung, in der jüngsten Ausgabe:

„Kaum haben geschäftstüchtige Galeristen oder mental bequeme Sammler signalisiert, dass sie dieses oder jenes Motiv so hübsch finden, weil sie an dies oder das erinnert werden, drücken die Künstler auf die Tube und klatschen die Leinwände voll. So viel figurative Belanglosigkeit, wie zur Zeit überall zu finden, gab´s selbst seinerzeit nicht, als die Neuen Wilden den alten Expressionismus mit zeitgemäßen Themen aufwärmten. Dabei kann ich den Verdacht nicht abschütteln, dass der jungen, erfolgssüchtigen Maler-Generation die eigenen Motive fehlen."

Es ist absehbar, dass der aktuelle Modetrend nicht mehr lange anhält, und ich traue mich heute schon zu prognostizieren, dass die nächste Welle auf sehr reduzierte, monochrome, geometrische Formen setzen wird.

Insofern ist es erfrischend, hier eine Künstlerin zu präsentieren, die selbst etwas zu sagen hat. Dass sie nicht auf Modetrends schielt, heißt natürlich nicht, dass ihre Arbeiten „unmodern" wären. Wahr ist vielmehr, dass die Bilder von Erika Seywald zeitlos sind – zeitlos in der Wahl ihrer Themen, zeitlos im formal-technischen Zugang, zeitlos im Stil.

Oberflächlich betrachtet ist der Stil von Erika der „abstrakten Malerei" zuzuordnen. Ich glaube aber, dass diese Schubladisierung zu oberflächlich ist. Nun brauch ich Ihnen sicher nicht den Unterschied zwischen abstrakter und gegenständlicher Malerei zu erklären – aber ich tu es trotzdem, denn meine These lautet: Es gibt keine Malerei, die nicht abstrakt ist, und es gibt keine Malerei, die nicht gegenständlich ist.

(Jede Malererei ist abstakt und jede Malerei ist gegenständlich.)

Sogenannte realistische Malerei ist natürlich abstrakt, weil sie Bilder von der dritten Dimension auf die zweite Dimension projiziert und dabei selbstverständlich komplexe Abstraktionsverfahren anwendet. Diese Abstraktionsverfahren sind, nebenbei gesagt, für das malerische Konzept von Erika Seywald unerheblich.

Sogenannte abstrakte Malerei ist immer gegenständlich, weil am Ende des Schaffensprozess ein Gegenstand steht, und selbst wenn der Bildinhalt auf eine monochrome Fläche reduziert wird und der Titel „ohne Titel" lautet, so ist zumindest die Farbe an sich Gegenstand des Bildes. Genau genommen wären nur nicht produzierte, also bloß gedachte Bilder, gegenstandslos. Jedes andere Bild ist ein Gegenstand und hat einen Gegenstand. Gegenstand in Erikas Bildern sind durchwegs Stimmungen, Emotionen, Gefühle.

Anders gesagt: Erika Seywald beschäftigt sich mit abstrakten Gegenständen an sich. Bilder dieser Ausstellung tragen Titel wie „Desorientierung und Verklärung", „Stille", „Apokalypse" oder „Farbe in mir".

Erlauben sie mir ein banales Beispiel, um zu erläutern, wie sich das Kompositionsprinzip von Erika Seywald von üblichen Abstraktionsverfahren unterscheidet.

Denken Sie an einen Baum.

Woran denken sie nun: An einen Nadelbaum, oder an einen Laubbaum? Oder an Peter Baum, den ehemaligen Leiter des Lentos in Linz? Und wenn Sie an einen Nadelbaum denken, denken Sie an eine Fichte, Tanne oder an eine Föhre? Oder einfach an den Christbaum? Übrigens hat mich mal eine Russisch-Übersetzerin gefragt, was ist eigentlich der Unterschied zwischen Kiefer und Föhre – weil es im Russischen dafür nur einen Begriff für Beides gibt – sosna. Versuchen Sie den Unterschied einmal zu erklären, und Sie werden verstehen, dass wir in unserem Denken und Sprechen ständig abstrahieren, sogar dann, wenn wir anscheinend so „eindeutige" Begriffe wie Föhre oder Kiefer verwenden.

Kurz: so wie Denken, Sprechen und Schreiben an sich Abstraktionsprozesse sind, so ist die Malerei an sich ein Abstraktionsprozess. Deshalb meine ich, dass für die Arbeiten von Erika die Schubladisierung „abstrakte Malerei" zu oberflächlich ist.

Erika bildet keine Gegenstände unserer Wahrnehmung ab, sondern malt - wie gesagt - abstrakte Gegenstände an sich, bzw. abstrakte Themen. Abstraktion ist damit nicht ihr formales, kompositorisches Konzept, sinder der Inhalt ihrer Arbeiten: Es geht darin um die Visualisierung von Stimmungen. Sie übersetzt Stimmungen in Farben, so wie ein Lyriker Stimmungen in Worte übersetzt. Dass sich im Katalog Lyrik von Gertrude Pieber-Prem findet, ist daher auch kein Zufall.

Der Prozess des Übersetzens ist bekanntlich viel komplexer als Wort für Wort, und Satz für Satz von einer Sprache in eine andere zu übertragen. So ein komplexer Übersetzungsprozess findet in den Bildern von Erika Seywald statt. „FARBE IN MIR" ist somit der programmatische Titel eines malerischen Konzeptes, das es dem Betrachter erlaubt, in den Bildern von Erika authentisch das wieder zu finden, was ihren jeweiligen Stimmungen entspricht.

Blanka Schmidt-Felber hat es in ihrem Katalog-Beitrag so formuliert:

„Erika Seywald tritt aus dem Bereich der Abstraktion einen Schritt zurück, nicht ins Gegenständliche im engeren Sinne, sondern ins Figürliche. Viele ihrer Bilder lassen sich als introspektive Landschaften lesen. Diese intensiven Landschaften konstituieren sich aus und über Figuren und deren Beziehungen. Relationale Persönlichkeiten in Versuchsanordnung."

In diesem Sinne würde ich den Stil von Erika als poetischen Realismus bezeichnen.

Diese Definition korreliert zwar nicht mit der literarischen Strömung des 19. Jahrhunderts, die so bezeichnet wurde, kann aber zumindest ein Denkanstoß sein, die Bilder von Erika aus der Schublade „abstrakte Malerei" zu befreien.

Fotos von der Vernissage: http://www.fotodienst.at/browse.mc?album_id=285

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