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Ein Lehrstück der Kulturkritik lieferte jüngst Cornelius Hell, seines Zeichens Ressortleiter Feuilleton der katholischen Wochenzeitung „Die Furche“. In einem Rundumschlag macht sich hier (Ausgabe 11.8.2005) ein Schreiberling, der „in der Kunstszene völlig unbekannt“ ist (was Hell seinerseits dem Kunstbeauftragten der Diözese Wien vorhält) zum obersten Kunstrichter der Nation.

Zunächst kreidet er Kardinal Schönborn an, dass er positive Worte und Emotionen bei der Ausstellung von Joseph Führich (laut Hell: „Fürich“) in der Albertina findet. Das ist ungefähr so passend wie den Staatsoperndirektor dafür zu schelten, dass ihm die Netrebko gefällt. „Spüren und fühlen konnte man dabei die bekannten Vorurteile des Kardinals gegen abstrakte Kunst.“ Hell der Spürhund oder Hell der Übersinnliche, der fühlt, was der Kardinal denkt? Wie auch immer, wird hier eine Diskussion angerissen, die seit Jahrzehnten (Stichwort Postmoderne) abgehakt ist. Das ist an den Scheuklappen von Hell aber spurlos vorüber gegangen, denn für ihn ist offenbar immer noch das, was in den 60ern Avantgarde war, der Maßstab für Kunst. Und so macht sich Hell zum Rächer eines fiktiv und posthum von Schönborn gekündigten Otto Mauer, war er doch „der große Förderer der Avantgarde“. Seine Schützlinge - Nitsch in der Staatsoper, Rainer in der Kapelle des Landhauses St. Pölten, Mühl in allen wichtigen Sammlungen inklusive Mumok – sind heute längst kanonisiert. Welchen Kampf führt Hell da eigentlich?

Solchermaßen die Fronten abgesteckt, weiß Hell jedenfalls, wen es gilt abzuhalftern. Es ist die Fleischwerdung der „Vorurteile“ des Kardinals, die  „Imago“-Gruppe, die der Gnade Hells nicht würdig erscheint: „keines ihrer Mitglieder hat Rang und Namen, aber sie arbeiten alle gegenständlich und sind christlich, das ist die Hauptsache.“ Wie kommt der Höchstrichter über Rang und Namen zu seinem Urteil? Sicher nicht aus eigener Anschauung, denn an meiner Galerie, die einige Imago-Künstler vertritt, und zu deren Ausstellungen Hell mehrfach eingeladen war, ist er bislang nicht vorüber gekommen.

Nun, so wird sich Hell sein Urteil – Vorurteile wollen wir ihm ja nicht unterstellen - wohl angelesen haben, z.B. aus Magazinen wie Format, das sich ja in Kunstfragen außerordentlich hervortut, wenn schon nicht durch regelmäßige Berichterstattung, geschweige denn durch kritische Berichterstattung, so wenigstens mit der Jahr für Jahr wiederkehrenden  Veröffentlichung der Kunstweltmeister von Wien-Schillerplatz und Umgebung im sogenannten Rating der „Top 100 Künstler von Österreich“. Übrigens: 15 der sogenannten „Top 100“ sind Frauen. Das Format-Rating als Spiegel des realen Kunstmarktes? Warum sind dann bei den Mitgliedern der IG Galerien 50 Prozent aller ausgestellten Arbeiten von Künstlerinnen? Aber das ist eine andere Frage und der Rest sind Vermutungen, und ich will hier nicht „spüren und fühlen“ was Hell meint, sondern bloß hinterfragen, was er sagt.

Und Hell sagt, es sei „eh vorbei mit der Moderne. Jetzt müssen die Nazarener wiederentdeckt werden. Da war halt noch Kunst, die für Verkündigung brauchbar war.“ Wenn er ernsthaft die Wiederentdeckung der Nazarener kritisieren wollte, müsste Hell die Frage stellen, warum in diesem Frühjahr in den heiligen Hallen der Frankfurter Schirn die Nazarener gewürdigt wurden, anstatt ausgerechnet dem Kardinal ans Bein zu pinkeln, weil er die Renaissance dieser Gruppe für „hoch an der Zeit“ hält. Ist dem Kunstkritiker die Ausstellung in Frankfurt nicht zur Kenntnis gelangt, oder darf man das, was Hollein „der Allmächtige“ (Kunstzeitung 6/2005) für diskussionswürdig hält, keiner Kritik unterziehen? Eine spannende kunsthistorische Frage wäre jedenfalls auch, wie sich die Nazarener in den aktuellen Kunsttrends wieder finden. Da hat sich nämlich ausgehend von Norbert Bisky und der Leipziger Schule eine Art Neo-Biedermeier in konzentrischen Kreisen auf ganz Europa ausgebreitet, was auf der vorigen Art Cologne in einer frappanten Weise zu sehen war.

Ich glaube nicht, dass Gerard Goodrow als Leiter der Art Cologne einen Erlass an die 250 teilnehmenden Galerien heraus gegeben hat, wonach nur Neo-Biedermeier gezeigt werden darf. Deshalb ist die Sehnsucht nach Figuaration, die offenbar den Zeitgeist spiegelt, zumindest ein interessantes Phänomen. Und dabei nur ein Phänomen unter dutzenden anderen Phänomenen im aktuellen Kunstgeschehen, wobei Figuration, Abstraktion, Konzeption, Installation oder auch Fotografie sich längst nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen. Nur wer den Diskurs der vergangenen zwanzig Jahre verschlafen hat, kann derart lächerliche Argumente bringen und jemandem mit Vorliebe für die gegenständliche Malerei automatisch ein „Vorurteil“ gegen abstrakte Malerei unterstellen.

Bleibt ein Untergriff Hells gegen „Kunst, die für Verkündigung brauchbar war“. Wofür die Kunst gebraucht wird oder wofür sie sich gebrauchen oder missbrauchen lässt, das muss jeder Künstler mit seinem Publikum, das muss jede Kunst mit ihrer Zeit ausmachen. Über Jahrhunderte war die Kirche die treibende Kraft als Auftraggeberin der Kunst. Dass dabei die Verkündigung eine Rolle spielte, wird man dieser Auftraggeberin hoffentlich nicht verübeln. Verübeln kann man der Kirche bestenfalls, dass sie diese Mission Jahrhunderte lang den Künstlern zugetraut hat, heute aber offenbar das Vertrauen in die Künstler/innen verloren hat, überhaupt eine Mission erfüllen zu können. Anstatt der zeitgenössischen Kunst ihren Raum in einer lebendigen Kirche zu geben (so wie das Jahrhunderte lang geschehen ist), verbraucht die Kirche heute ihre gesamte Energie (und auch finanziellen Mittel) dafür, das vor Jahrhunderten Geschaffene zu erhalten. Restauration statt Innovation ist das Motto.

Was könnte man tun, um diese Stagnation zu überwinden? Ich würde mir wünschen, dass eine Zeitung mit Rang und Namen wie „Die Furche“ in diesem weitgehend unbeackerten Felde pflügt, anstatt abstrakte Scheingefechte gegen figurative Kunst zu führen und Künstler in Grund und Boden zu stampfen, indem man „Rang und Namen“ zum Kriterium einer höchst dubiosen Werteskala einer höchst fragwürdigen Kunstanschauung erhebt.

Hubert Thurnhofer, Präsident IG Galerien in: Wiener Kunsthefte, September 2005

Der Kardinal und seine Kunst
Kommentar von Cornelius Hell in „Die Furche“, 11. August 2005

Es sei „hoch an der Zeit“, dass die Nazarener neu entdeckt würden, meinte Kardinal Schönborn bei der Eröffnung der Ausstelung der Kreuzweg-Zeichnungen von Joseph Fürich in der Albertina; Voruteile habe es gegen sie gegeben, die überwunden werden müssten. Wenn ein Kardinal gegen Vorurteile auftritt, kann man schwer widersprechen. Klaus Albrecht Schröder machte auch gleich den Ministranten und konnte das zutiefst christliche Weltbild des Künslters „spüren und fühlen“.

Spüren und fühlen konnte man dabei auch die bekannten Vorurteile des Kardinals gegen abstrakte Kunst. Darum hat er ja auch die „Imago“-Gruppe gefördert – keines ihrer Mitglieder hat Rang und Namen, aber sie arbeiten gegenständlich und sind christlich, das ist die Hauptsache. Doch der Kampf wird immer mit feiner Klinge geführt. Nur nicht offen sagen, Monsignore Otto Mauer, der große Förderer der Avantgarde, habe sich geirrt – auch wenn man ihm liebend gerne einen postumen Kündigungsbrief unter die Türmatte legen möchte.

... Impulse zur Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst kommen von Östertreichs größter Diözese nicht, und ihr Kunstbeauftragter ist in der Kunstszene völlig unbekannt. Aber jetzt ist es eh vorbei mit der Moderne. Jetzt müssen die Nazarener wiederentdeckt werden.Da war halt noch Kunst, die für Verkündigung brauchbar war.

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