logo

bild

Es ist kurios, wieviel Erregung eine Podiums-Diskussion zum Thema „Wieviel Erregung braucht die Kunst?“ auslösen kann. Der Vorsitzende des Galerien-Verbandes sagte seine Teilnahme ab, nachdem ihn sein Präsidium zurück gepfiffen hatte. Und der Kooperationspartner artmagazine.cc machte sich grußlos aus dem Staub, nachdem ihm der Maulkorb-Erlass des Galerienverbandes bekannt geworden war. Mit der IG Galerien setzt man sich eben nicht an einen Tisch!

Der österreichische Weg der Konfliktbewältigung ist bekanntlich der, Mitbewerber oder unerwünschte Gegner einfach zu ignorieren. Die verschärfte Wiener Variante dieser Strategie heißt: Ned amoi ignorieren. Nun, es gibt noch eine deutlich raffiniertere Strategie: Eine Kooperation vereinbaren, um damit besser die Pläne des Kooperationspartners hintertreiben zu können. Allen Widrigkeiten zum Trotz: Die Wiener Kunstgespräche wurden durchgeführt.

Dieses Jahr brachte dem Publikum ja zahlreiche künstlerische – oder wenigstens künstliche – Erregungen: Die Gruppe Gelatin lieferte eine Neuinterpretation des homo erectus und versetzte damit das Salzburger Establishment und Festspielpublikum in Aufregung. Das war zwar eine gelungene Inszenierung, aber alles andere als Kunst. Dass Plastik-Lippizaner unter dem Vorwand einer Kunst-Aktion die Wiener Innenstadt in diesem Sommer verschandelt haben, hat dagegen niemanden aufgeregt.

Wenig Erregung löste auch die Kulturhauptstadt Graz in diesem Jahr aus, aber wenigstens internationale Aufmerksamkeit hat sie erregt: Von Jänner bis September 2003 konnte die Grazer Hotellerie 143.000 Übernachtungen mehr als 2002 verbuchen. Die Auszeichnung des Projektes "0003" (ich hab übrigens nie verstanden, wie die dritte Null zu interpretieren ist) mit dem "Globe Award", dem Preis für das weltweit beste Tourismusprojekt, war da wohl der legitime, krönende Schlusspunkt.

Und was bleibt neben Friendly Alien, Uhrturmschatten, Marienlift und Acconci-Insel von Graz 2003? Der "Maler der Dämonen" – so der Titel einer dreiseitigen Format-Reportage über Wolfgang Lorenz, der just in seiner Funktion als Hauptstadt-Manager auch sein "Outcoming als Künstler" zelebrierte. Selbstverständlich hat nicht nur das Format, das dem Thema Kunst maximal zwei mal im Jahr seine Aufmerksamkeit schenkt, Lorenz ausführlich gewürdigt, sondern auch alle anderen Medien, für die die "Seitenblicke" der Maßstab des Kultur-Journalismus sind. In einem Land, in dem die Kumulation von Unvereinbarkeiten bereits zum guten Ton gehört, wird diese Peinlichkeit aber nicht einmal als Skandal wahr genommen.

Einen halben Tag der Erregung, zumindest in den Wiener Amtsstuben, provozierte Ulrike Truger mit der nicht bewilligten Aufstellung ihres Omofuma-Denkmals vor der Wiener Oper. "Als Gefährdung für die Allgemeinheit und zudem illegal" bezeichnete FP-Stadtrat Johann Herzog (ja, sowas gibt es im roten Wien!) das Denkmal. "Kunst soll das im Menschen schlummernde Wissen erregen", sagte Alfred Biber bei der oben erwähnten Diskussion. In diesem Sinne ist Trugers Kunstwerk und ihre Aktion wohl die bemerkenswerteste Erregung dieses Jahres.

Während Trugers Stein neben seiner künstlerischen Kraft auch eine klare soziale und politische Stellungnahme gegen die derzeitige Asylpolitik zum Ausdruck bringt, ist die diesjährige "soziale Kunst-Aktion" von Herold Business Data ein billiger Werbegag. Demnach soll ein Bild aus der Aktion "Ganz Österreich malt", bei der Menschen mit Behinderung und Kinder für Kinder in Not malen, für die Titelseite der kommenden Auflage des  Telefonbuches ausgewählt werden.

Herold hätte die Chance gehabt, mit den "superpages" langfristig Künstlern aller Bundesländer einen öffentlichen Raum zu schaffen. Statt dessen hat Herold das Projekt, das mit der Akademie der Bildenden Künste vor zwei Jahren vielversprechend begonnen hat, nun an die Soziallokomotive "Licht ins Dunkel" angekoppelt. Angesichts der derzeitige Lage am Kunstmarkt ist es absehbar, wieviele Künstler demnächst wieder zum Sozialfall werden – vielleicht kommen sie ja dann doch noch in den Genuss der  Herold-Aktion.

Wiener Kunsthefte, Dezember 2003

Banner Philosophische Praxis