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Da Urlaube ja dafür erfunden wurden, Bücher zu lesen, für die man sonst keine Zeit hätte, hab ich mir diesmal „Musil“ vorgenommen, eine Biografie von Herbert Kraft, in der laut Klappentext „brillant geschrieben“ deutlich wird, „wie bei Robert Musil Leben und Werk einander ergänzen“. Deutlich wird bei der Lektüre dieses Buches allerdings nichts, was nicht schon längst bekannt wäre: Dass Musil nach dem Ende des 1. Weltkriegs fast ausschließlich für seinen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ (MoE) gelebt hat, davon aber kaum sein Auslangen finden konnte, wohl wissend, dass sein Jahrhundertroman mehr wert sei als viele andere Romane seiner Zeit, die ihren Autoren aber größere (finanzielle) Erfolge brachten. Daraus reslutierend das gespannte Verhältnis zu Schriftstellern seiner Zeit, insbesondere zu Thomas Mann, obwohl der Nobelpreisträger und andere Dichter Musil immer wieder (auch finanziell) unterstützten – was das gespannte Verhältnis zu diesen sowie die innere Anspannung allerdings weiter erhöhte, denn wüsste die Welt, wer er sei, hätte er solche Almosen nicht nötig, war Musil überzeugt.

Selbstverständlich war sich Musil seiner persönlichen Schwächen bewusst, als er notierte „Ulrich so unsympathisch wie mich selbst zeichnen“. Es ist daher keine literaturwissenschaftliche Glanzleistung, Musil ausschließlich als undankbaren, egozentrischen Misanthropen zu darzustellen. Kraft lässt jedoch keine biografische Nebensächlichkeit aus, um sein Bild von Musil zu bekräftigen, sogar Musils Ehrgeiz Crawlen zu lernen ist in den Augen Krafts Ausdruck von Selbstüberschätzung, da er doch „eher klein und stämmig mit etwas kurzen Armen, dafür wenig Eignung besaß“ - als ob die Eignung dafür auch nur das Geringste mit der Körpergröße zu tun hätte!

Insgesamt ist diese Biografie ein mustergültiges Beispiel für das fundamentale Problem der Sekundärliteratur an sich. Kraft füllt sein Buch seitenweise mit Musil-Zitaten, ohne diese wirklich zu erhellen. Er verknüpft manche Gedanken Musils mit Zitaten aus seinem Werk, baut da und dort Brücken vom Roman zur Biografie – meist Hängebrücken ohne Fundament - folgt dabei keiner bestimmten These, sondern nur seinem im ersten Kapitel gezeichneten Bild des Menschfeinds, der seinen Alpenkönig auch in seinen letzten Lebensjahren in der Schweiz nicht finden konnte. Ein flaches Gesamturteil anstelle argumentierbarer Thesen und Gegenthesen – das ist das Fundament, auf der diese kraftlose Musil-Biografie aufbaut. Diese Art von Sekundärliteratur ist zwar typisch, geradezu prototypischen für eine Textsorte, die der Kategorie „Sekundärliteratur“ allein deshalb zuzuordnen ist, weil sie grundsätzlich nur Sekundäres von sich gibt. Dass so ein Werk überhaupt geschrieben und gedruckt wird, ist wohl nur im Kontext akademischer Pflichtübungen zu verstehen

Nachsatz für Leser der Wiener Kunsthefte, die an dieser Stelle - zu Recht - etwas Aktuelles zum österreichischen Kunstgeschehen lesen wollen: Fast alles, was wir über Literatur, Musik oder Kunst zu lesen bekommen ist dem Wesen nach Sekundärliteratur. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Original – das sich Einlassen auf das Original – immer aufschlussreicher als das Studium von sekundären Abhandlungen. Im Übrigen fällt mir zu Franz Morak nichts mehr ein.

Um es mit den Worten Musils zu sagen: „Wenn die Dummheit nicht von innen dem Talent zum Verwechseln ähnlich sehen würde, wenn sie außen nicht als Fortschritt, Genie, Hoffnung, Verbesserung erscheinen könnte, würde wohl niemand dumm sein wollen, und es würde keine Dummheit geben. Zumindest wäre es sehr leicht, sie zu bekämpfen. Aber sie hat leider etwas ungemein Gewinnendes und Natürliches. Wenn man zum Beispiel findet, daß ein Öldruck eine kunstvollere Leistung sei als ein handgemaltes Ölbild, so steckt eben auch eine Wahrheit darin, und sie ist sicherer zu beweisen als die, daß van Gogh ein großer Künstler war. ... Es gibt schlechterdings keinen bedeutenden Gedanken, den die Dummheit nicht anzuwenden verstünde, sie ist allseitig beweglich und kann alle Kleider der Wahrheit anziehen. Die Wahrheit dagegen hat jeweils nur ein Kleid und einen Weg und ist immer im Nachteil.“ (MoE, S. 58f)

Wiener Kunsthefte, September 2004

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